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  4. Friedrich Caspary. Die Polizei, Dein Freund und Helfer
  Friedrich (genannt Fritz) Caspary war zur Zeit der sogenannten 
  „Kristallnacht“ Meister der Schutzpolizei in Bergen. Er berichtete am 
  11. August 1945 gegenüber der Amerikanischen Militärregierung über 
  die Vorfälle während der Pogromnacht. Sein Zeugnis hat Helmut 
  Ulshöfer in seinem Buch: „Jüdische Gemeinde Bergen-Enkheim 1933 
  – 1942“ dokumentiert (1).  Besonders interessant erscheint uns bei 
  Casparys Stellungnahme die Selbstverständlichkeit, mit der er für 
  Recht und Ordnung sorgte und die jüdischen Familien vor Übergriffen 
  schützte. Bemerkenswert sind aber auch die Reaktionen derer, denen 
  er Einhalt gebot. Die Mär, dass jeder, der sich den verbrecherischen 
  Ansinnen der Nazis widersetzte, mit Gefahr für Leib und Leben 
  rechnen musste, lässt sich durch die folgenden Aussagen des 
  Polizisten widerlegen.
  •
  
  „Bericht über die Diebstähle bei den hiesigen Juden während der 
  Judenbekämpfung durch die Nazipartei.
  •
  
  Es war im Jahr 1938, als überall eine Aktion gegen das jüdische 
  Besitztum einsetzte. Auch in hiesiger Gemeinde erfolgte diese 
  Aktion. Es wurden nun an verschiedenen Stellen bei jüdischen 
  Familien Terrorakte und Diebstähle ausgeführt, wo ich zum Schutz 
  von den einzelnen Familien angehalten wurde. Soweit ich mich 
  noch heute entsinnen kann, begann diese Aktion hauptsächlich bei 
  der Familie H, Schuh-H., und hier bei der Familie H. im Sperber.“
  Gemeint ist mit der Familie Schuh-H. die Familie Hess, deren Geschäft 
  in der damaligen Schwindegasse, heute Am Michlersbrunnen 2, lag. 
  Bei der Familie H. im Sperber handelt es sich um die Familie von 
  Moritz Hirsch. Moritz Hirsch zog im Oktober 1939 nach Frankfurt in die 
  Wöhlerstraße um, seine beiden Kinder, die Halbgeschwister Johanna 
  und Otto Hirsch wurden am 5. September nach Theresienstadt und im 
  Januar 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
  •
  
  „Bei H. wurden aus dem Lager Schuhe aller Art gestohlen, hierbei 
  zeichnete sich der Schuldiener O. besonders aus, indem er die 
  Schuhe aus dem Fenster warf. Ich entfernte O., worauf dieser auch 
  gleich fortging. Bei meinem schnellen Einschreiten wurden die 
  gestohlenen Schuhe zum größten Teil wieder herbeigeschafft. Bei 
  einigen jungen Leuten hatte ich Schuhe sichergestellt, welche sich 
  anschickten die Schuhe mitzunehmen. (… ) Auf dem Hof der 
  Gastwirtschaft G. hier in der Marktstraße habe ich auch 
  verschiedenen jungen Leuten Schuhe abgenommen. Hier drohte 
  sogar eine Person mit dem Erschießen, falls ich nicht sofort den 
  Hof verließe. Bei schnellem Einschreiten stellte es sich jedoch 
  heraus, dass dieser keine Waffen bei sich hatte. Den Namen der 
  Person, welche mit dem Erschießen drohte, kann ich heute nicht 
  mehr angeben, da dieser von auswärts war. Mir ist aber noch in 
  Erinnerung, dass diese Person von Ffm-Seckbach war. (…)
  •
  
  Aus der Gastwirtschaft holte ich jedenfalls einige Paar Schuhe 
  heraus, welche dort versteckt waren und von den Leuten bei 
  meinem Einschreiten zurückgelassen wurden. (…) Es wurden auch 
  einige Personen zwecks Feststellung der Personalien 
  festgenommen, und ich habe später gegen dieselben eine Anzeige 
  eingeschickt. Zu erwähnen ist noch, dass B. vor der Aktion die alte 
  Frau H. durch Schläge und sonstige Misshandlungen schwer 
  verletzte.
  •
  
  Bei H. im Sperber wurde Alkohol entwendet, da dort eine 
  Schnapsbrennerei war. Wer hier beteiligt war, weiß ich heute nicht 
  mehr. Auch bei H. musste ich einschreiten und einige Personen 
  gewaltsam aus dem Hause entfernen. Nach und nach wurden bei 
  allen jüdischen Familien Terrorakte ausgeführt. Ein M. aus dem 
  Sperber soll bei der Aktion auch eine große Rolle gespielt haben. 
  Jedoch habe ich diesen nicht angetroffen. Im Sperber soll ein P. bei 
  dem Schuhdiebstahl bei H. beteiligt gewesen sein, worüber aber 
  die Ehefrau E. (Gastwirtschaft) Auskunft geben kann. Diese hat 
  auch mein Einschreiten beobachtet. Ich kann mich aber leider nicht 
  mehr entsinnen, wer alles beteiligt war.
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  Es waren auch Jugendliche von 14 Jahren anwesend, welche 
  Schuhe mitnahmen, die aus dem Hause H. waren. Bei den 
  Diebstählen bei dem Metzger S. muss ich sagen, dass ein 
  Einbruchdiebstahl von den Gebrüdern P. ausgeführt wurde.“
  Es handelt sich bei dem Metzger S. sehr wahrscheinlich um den 
  Metzger Meier Seligmann, dessen Geschäft auf der Marktstraße 87 
  lag.
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  „Auch wurde die Sache gegen die Jugendlichen W. und Genossen, 
  welche als Landfriedensbruch angezeigt war, von mir erledigt. Hier 
  hatten die Jugendlichen die Wohnung und das Treppenhaus der 
  Familie H. in der Rathausgasse sehr stark beschädigt.“
  In dieser Gasse, die heute Am Berger Spielhaus heißt, wohnten die 
  beiden Familien Hermann und Emma Hahn, die am 5. September 
  1942 nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz verschleppt 
  wurden, und Klara, Nathan und Jettchen Hahn, die mit dem gleichen 
  Transport nach Sobibor bzw. Theresienstadt verschleppt und ermordet 
  wurden.
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  „Über alle Einzelheiten und Einschreiten hatte ich mir bei der 
  Nazipartei viele Feinde geschaffen, wo ich es ständig hören 
  musste. (...) Trotzdem bin ich weiterhin nach den polizeilichen 
  Grundsätzen eingeschritten, wenn auch andere Polizeibeamte 
  nicht einschritten.“
  Edith Haase
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  1 Helmut Ulshöfer, Jüdische Gemeinde Bergen-Enkheim 1933 – 1945, 
  Frankfurt am Main 1988, S. 48f
 
 
 
 
 
 
  Es gab aber auch Lichter in einer 
  dunklen Zeit
  Diese Lichter zeugen von Menschlichkeit 
  inmitten einer unfassbaren Barbarei. Es 
  sind Berger Bürger, die den Mut hatten, 
  gegen den Strom zu schwimmen, ihre 
  jüdischen Mitbürger nicht im Stich zu lassen 
  und im Verborgenen Nachbarschaftshilfe 
  zu leisten.
  Einige Beispiele: 
  •
  
  Der Maurermeister Wilhelm Grimm 
  aus der Barbarossastraße bot seiner 
  Nachbarin, der Jüdin Senni Katz, seinen 
  Keller als Versteck an.  
  •
  
  Die Familien R. und H. setzten sich bei 
  den Novemberpogromen für ihre 
  jüdischen Nachbarn ein.
  •
  
  Familie Schneider: Großvater und 
  Vater halfen Verfolgten und 
  Gedemütigten in der Pogromnacht.
  •
  
  Polizeimeister Friedrich Caspary
  •
  
  Pfarrer Karl Wessendorft
     
            
                    
                Polizeimeister Friedrich Caspary
                Foto aus dem Privatbesitz der Urenkelin
                des Polizisten, Margit Janz 
                (der Initiative Stolpersteine zur
                Veröffentlichung überlassen)
     
     
                                                              
            
                    
                                            
 
 
 
 
 
  
 
 
 
  Lichter in einer dunklen Zeit: Friedrich Caspary
 
 
  Initiative Stolpersteine Bergen-Enkheim 
                                              Frankfurt am Main